Ecken: Die meist vergessene Übung, um dein Pferd effektiv zu gymnastizieren

Pferd gymnastizieren Übung

Es gibt eine so einfache Übung, um dein Pferd geschmeidig, beweglich und locker unter dem Sattel zu bekommen.
Sie ist wirklich soooo einfach, doch kaum einer kennt sie. Eigentlich unverständlich, denn wenn man auf einem Reitplatz reitet, kommt man eigentlich nicht um sie herum.
Sie wartet am Ende jeder langen und kurzen Seite am Hufschlag.

Und doch wird sie immer vergessen. Unglaublich! Wenn doch nur jeder wüsste, wie effektiv diese eine Übung ist.

Aber sie hilft nur, wenn man sie präzise reitet …

Die Ecke: die allerwichtigste Übung, um Pferde zu gymnastizieren!

Ja, simpel und einfach die Ecke zwischen jeder kurzen und langen Seite auf dem Hufschlag.

Wie oft unterrichte auf Reitplätzen, wo es gar keine Ecken gibt. Für mich ein Graus. Denn Ecken sind für mich die wichtigsten Hufschlagfiguren! Da habe ich es wie Thomas Ritter, Verfechter der klassischen Dressurlehre nach biomechanischen Prinzipien:

 

Mithilfe der Ecke kann ich mein Pferd auf einfache und doch so effiziente Art und Weise gymnastizieren:

Ein korrektes Durchreiten einer Ecke

  • mobilisiert die Schultern des Pferdes.
  • schult den Reiter in der korrekten diagonalen Hilfengebung.
  • hilft dem Pferd, mehr unterzutreten.
  • mobilisiert seine Hüfte.
  • fördert seine Hankenbeugung.
  • bereitet es auf die Versammlung vor.
  • macht es in Vor- und Hinterhand geschmeidig.
  • verbessert die Biegung und die Geraderichtung u. v. m.

Dies sind nur ein paar wenige „Nebeneffekte“ einer korrekt durchrittenen Ecke – und ich könnte noch mehr aufzählen.

Aber so viele Reiter verzichten auf diese so unglaubliche Übung.

Du brauchst keine komplizierte Lektion, die du wieder in mehrere kleinere Unterlektionen zerlegen musst und dafür fünf andere Lektionen reiten, damit das Pferd die Lektion endlich schafft – nein! Du brauchst nur präzise und TIEF durch eine Ecke reiten!

Und das bedeutet genau Folgendes:

Hufschlagfigur Ecke

Rot ist die falsch durchrittene Ecke – so ist es auch keine Ecke, sondern eigentlich zwei runde Linien, die vielleicht in Summe einen großen (halbrunden) Zirkel ergeben würden. Dort sind auch die meisten Hufschläge auf vielen Reitplätzen eingetreteten und festgetrampelt. So ist die effektivste Hufschlagfigur am Reitplatz aber ungenutzt.

Und die ist nun mal die präzise gerittene Ecke – die grüne Linie.

Je nach Ausbildungsstand des Pferdes kann man tiefer oder flacher in eine Ecke hineinreiten. Nicht umsonst wird erst in der Klasse S (wie Schwer) in der Dressur die Ecke mit Durchmesser 6 Meter geritten – genauso wie die 6-Meter-Volten, die ein Pferd erst auf diesem hohen Ausbildungsstand in korrekter Biegung und Stellung gehen kann.
In der Klasse A (wie Anfänger) sind die Ecken mit einem 10 Meter Durchmesser zu durchreiten (genauso groß sind in den Aufgaben dann auch die verlangten Volten), in der Klasse L (wie Leicht) dann erst 8 Meter Durchmesser.
Du kannst also je nach Ausbildungsstand deines Pferdes die Ecke mal tiefer oder flacher durchreiten.

Der Verfechter der klassischen Reitlehre nach biomechanischen Grundsätzen, Thomas Ritter, geht in seinem Buch „Klassisches Reiten auf Grundlage der Biomechanik“ sogar noch weiter und erklärt das „Eckenprinzip“:

Früher ritten die alten Meister eine Volte, also die kleinste korrekte Kreisbogen, in einem Umfang von 12 Tritten – folglich ist eine Viertelvolte mit drei Tritten zu durchreiten. Und jede Ecke ist eine Viertelvolte.

Ritter präzisiert die Ecke erst dann als korrekt geritten, wenn sie in exakt drei Tritten des inneren Hinterfußes durchritten wurde. So ergibt sich für eine korrekt gerittene Volte eine Trittzahl des inneren Hinterbeines von 12 Tritten – für den Zirkel dann 24 Tritte.

Auch wenn man es nicht übertrieben genau mit dem Zählen der Tritte des Hinterbeines angehen möchte: Eine gewisse Präzision ist in der Pferdeausbildung vor allem im Sattel immer nötig, da es ansonsten nicht möglich ist, die Schiefe des Pferdes und somit die Geraderichtung, die essenziell für gesunderhaltendes Reiten ist, zu erarbeiten.

Ritter weiter:

Es kommt also darauf an, wie tief oder flach du die Ecke durchreitest und wie hoch dadurch der Biegungs- und Stellungsfaktor für dein Pferd ist. Mit egal wie viel Tritten genau du die Ecke durchreitest, sie ist auf jeden Fall DIE Top-Übung für ein geschmeidiges, lockeres und bewegliches Reitpferd, die du nicht ungenutzt lassen solltest!

 

Ecken: Die präziseste Hufschlagfigur für hohe Gymnastizierung

In diesem Zusammenhang ist die Ecke immer in Kombination mit Präzision zu sehen! Je präziser wir Hufschlagfiguren reiten – egal welche! -, desto leichter wird das Pferd geschmeidig in der Vor- und Hinterhand und wir können leichter die Vorhand auf die Hinterhand ausrichten und das Pferd so geraderichten!

Ein weiterer toller Nebeneffekt von korrekt gerittenen Hufschlagfiguren und vor allem der Ecken ist, dass das Pferd weniger schreckhaft wird! Ja, du hast richtig gehört: Das Pferd muss sich bei präzise gerittenen Hufschlagfiguren auf seine Aufgabe und den Reiter konzentrieren. So ist es weniger abgelenkt und bringt das Pferd an die Hilfen. Das Pferd hat keine Zeit, abgelenkt zu werden und zu scheuen.

Deshalb:

Konzentriere dich darauf, wie präzise du die Ecken an deinem Reitplatz durchreitest – und in weiterer Folge präzisiere das Reiten aller Hufschlagfiguren!

Allein die Übung der korrekt gerittenen Ecken wird dein Reiten enorm verbessern und dein Pferd geschmeidiger werden lassen. Jede in weiterer Folge korrekt gerittene Hufschlagfigur ist das Geheimnis, wie du erfolgreich von Klasse zu Klasse höhersteigst und enorme Fortschritte mit deinem Pferd machen wirst.

NIcht umsonst hatten die Bereiter an der Spanischen Hofreitschule gesagt, dass jemand, der sehr gute Ecken reiten kann, alles reiten kann!

Ecken ausreiten

Das Eckenausreiten gilt als die Basis des Reitens im Dressurviereck und wird in Dressurprüfung auch entsprechend gewichtet!

Wie reitet man nun die Übung "Ecke" korrekt, um Pferde sinnvoll zu gymnastizieren?

In einer korrekt gerittenen Ecke spuren die Hinterhufe genau in die Abdrücke der Vorderhufe – klingt zuerst mal relativ einfach … ist es aber ganz und gar nicht. Gerade das Ausrichten der Vorhand auf die Hinterhand ist für ein von Natur aus bereits leicht schiefes Pferd enorm schwierig. Denn durch das Gerittenwerden verschlimmert sich diese Schiefe meist noch mehr. Das merken wir dann daran, dass ein Pferd sich auf einer Seite schwerer longieren lässt oder versucht, ständig umzudrehen; beim Drängeln am Zirkel nach außen oder innen, Probleme mit Stellung und Biegung auf einer Seite usw.

Ecken sind zudem sehr hilfreich, um das Pferd auf die nächste Hufschlagfigur oder Lektion vorzubereiten – zum Beispiel als Vorbereitung für die benötige Stellung und Biegung für Schulterherein an der langen Seite oder um das Pferd auf den Mitteltrab auf der Diagonalen vorzubereiten und zu versammeln.

Wie wird eine Ecke jetzt genau korrekt geritten, um das Pferd mit dieser Übung gut zu gymnastizieren?

Eine korrekt gerittene Ecke biegt und stellt das Pferd auf genau dieser Kreislinie, die die Ecke vorgibt. Das heißt, das Pferd ist durch die innere Hand leicht nach innen gestellt (Stellung findet im Genick statt, das bedeutet nicht, dass mit dem inneren Zügel der Hals des Pferdes nach innen gezogen wird!). Dieses Stellen im Genick hat das Pferd im optimalen Fall bereits vom Boden aus grundlegend erlernt.

Dann führt der innere Zügel in die Ecke hinein, sorgt weiterhin für die Stellung. Der innere Schenkel läßt den inneren Hinterfuß vermehrt Untertreten und in die Abdrücke der Vorderhufe treten. Damit das passiert, müssen der äußere Schenkel und der äußere Zügel genügend verwahren, damit weder die Schulter noch die Kruppe nach außen ausfallen (dann wäre das Pferd auf dieser Hand steifer = steife Seite oder auch Zwangsseite genannt). Dies geschieht, indem der äußere Schenkel eine dezente Handbreit am Gurt nach hinten gelegt wird, der äußere Zügel wird am Hals angelegt (siehe auch die Abbildung unten).

Übung Ecke reiten
Beim Reiten der Ecke auf dieser Hand ist das Pferd rechts herum steif. Es tut sich schwer, sich korrekt nach innen zu biegen und mit den Hinterbeinen den Spuren der Vorderbeine zu folgen - die Kruppe schert nach außen.

In der Ecke selbst gibt der innere Zügel ein wenig nach. Dadurch erlaubst du die Längsbiegung des Pferdes, die nötig ist, damit es korrekt durch die Ecke kommt (das bedeutet, die Hinterbeine folgen genau den Spuren der Vorderbeine). Dafür ist es auch nötig, das Pferd auf das Durchreiten der Ecke vorzubereiten:

1. Stell dein Pferd ca. drei Meter vor der Ecke bereits vermehrt nach innen.

2. Achte darauf, dass du die Vorhand nicht mit beiden Zügel in die Ecke schiebst/drückst – dadurch wird dein Pferd unweigerlich schief.

3. Lege den inneren Schenkel bereits vor der Ecke sanft am Gurt an.

4. Erst beim Durchreiten der Decke treibst du es dann sanft mit dem inneren Schenkel am Gurt tief in die Ecke hinein.

5. Nach der Ecke stellst du dein Pferd wieder gerade und reitest geradegerichtet (Hinterhand folgt der Vorhand) aus der Ecke heraus.

Fällt das Pferd vermehrt mit der Vorhand und/oder der Hinterhand in der Ecke nach innen (das bedeutet, dass diese Seite dann auch gleichzeitig seine hohle Seite ist), muss mit dem inneren Schenkel vermehrt die Biegung abgefragt werden. Die meisten Pferde tendieren dazu, die Ecken abzurunden. Hier muss der Reiter entsprechend mit dem inneren Schenkel gegenwirken.

Wird die Ecke korrekt geritten, fußen die Hinterbeine exakt den Spuren der Vorderbeine. Du kannst das ganz leicht überprüfen, indem du auf einem frisch abgeschleppten Reitplatz im Sand die Hufspuren deines Pferdes kontrollierst. Diese Spuren verraten dir ganz viel über die Schiefe und den Stand der Geraderichtung deines Pferdes.

 

Das Nutzen von Ecken als Übung in der Handarbeit

Auch in der Handarbeit am Kappzaum oder an der Trense können Ecken perfekt genutzt werden. Sie werden genau gleich geführt wie geritten: Der innere Zügel gibt die Stellung vor, die Gerte auf Höhe des Schenkels regt die Biegung an.

Das Führen in Stellung durch Ecken ist eine perfekte Übung, um das Pferd während des Aufwärmens im Schritt zu gymnastizieren. Ich mache das sehr gerne, fünf bis zehn Minuten bevor ich aufsteige. So ist mein Pferd bereits auf seine anstehende Arbeit unter dem Sattel vorbereitet. Vorbereitende Körperarbeitstechniken am Boden bereits am Putzplatz kannst du hier nachlesen bzw. auf Youtube ansehen:

Gesunde Pferde durch Tellington TTouch: Mit wenig Aufwand im Alltag Krankheiten und Problemen vorbeugen

Video-Praxistipp: Lecken der Kuhzunge

Ganz wichtig: Egal, ob beim Reiten oder in der Handarbeit – die präzise Ecke ist immer die Vorbereitung für alles, was danach folgt:

  • Diagonalwechsel mit Tempounterschieden (Versammelter Trab – Mitteltrab – versammelter Trab)
  • alle Seitengänge (Schulterherein, Travers, Renvers, Traversalen)
  • Schenkelweichen bzw. Viereck verkleinern/vergrößern
  • Übergänge von einer Gangart in die andere

In der Ecke schiebt das Pferd die Hinterhand vermehrt unter seinen Schwerpunkt und kann so leichter in schwere Lektionen (Schubkraft für Zulegen auf der Diagonale oder der langen Seite oder einen Seitengang) geführt werden. Durch korrektes Durchreiten von Ecken fördert man zudem die steigende Versammlungsbereitschaft des Pferdes.

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2 Comments

  • Ayleen

    Ich beschäftige mich gerade viel mit Schiefe und Biegung… meiner ist ja *eigentlich* gut ausgebildet (gewesen) aber in den letzten Jahren durch den Schulbetrieb doch deutlich schief geworden (falls er überhaupt je reell gerade geritten wurde…?). Ich merke beim Ecken reiten genau wie bei Zirkel und Volten einen deutlichen Unterschied je nach dem auf welcher Hand ich reite….
    Wichtig fand ich in dem Zusammenhang auch den Hinweis, dass ein (noch) nicht gut ausgebildetes Pferd noch nicht so tief in die Ecke geritten werden kann und sollte. Im Reitunterricht habe ich immer gehört „tief in die Ecke“ aber wenn ich mir überlege, was ich da teilweise für Pferde geritten bin, konnten die das gar nicht leisten – jedenfalls nicht korrekt ohne irgendwie auszufallen… Das war mehr ein „so lange wie möglich geradeaus, dann wird sich das Pferd, bevor es an der Bande anstößt, schon irgendwie in die richtige Richtung drehen“ – korrekt geht anders 😅🙈

    27. August 2020 at 10:16 Reply
    • Melanie

      Hallo Ayleen, danke für deinen Kommentar, der ein wichtiges Thema in der Gesunderhaltung unserer Reitpferde anspricht: Die Schiefe!
      Je nachdem auf welcher Seite dein Pferd hohl oder steif ist, kann das Pferd auf der jeweiligen Seiten mal tiefer, mal flacher in die Ecke geritten werden.
      Die Schiefe des Pferdes beeinflusst ja auch das Untertreten des jeweiligen Hinterbeines, das je nach Ausprägung der Schiefe dann gar nicht so weit untertreten kann, dass es korrekt gebogen durch die Ecke gehen kann.
      Dann fallen die Pferde – wie du schreibst – irgendwie um die Ecke oder kürzen sie extrem ab und drängeln nach innen …
      Nur „Tief in die Ecke“ als Anweisung ist da natürlich zu wenig, um das Problem zu lösen 😉

      27. August 2020 at 10:52 Reply

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